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07.07.2017

Biosäfte mit Nebenwirkung

Global super 8 Day 2015
Alles bereit zur Bio-Filmentwicklung mit Kaffee, Kakao und Wasser aus dem Rhein.


Die Berliner Super-8-Künsterin Dagie Brundert war am Bildrausch Festival in Basel zu Gast und zeigte, wie man in Kaffee und allerlei mehr Bioprodukten Filme entwickeln kann. Ein Workshop für Nachahmerinnen und Nachahmer.

«Der Zucker hat nichts gemacht, ich hab’s gewusst», freut sich Dagie Brundert. Wie eine Wäscherin lässt sie den frisch entwickelten Film aus dem Wasserbecken mehrere Male durch die Hände gleiten. Die Schwärzung des Films lässt einen schönen Kontrast erahnen. Keine Selbstverständlichkeit. Der Film wurde in «Chokonol» entwickelt, einem Entwickler der zu einem grossen Teil aus Kakaopulver besteht. Das Experiment ist gelungen.

Es ist ein warmer Sommertag am Bildrausch-Festival in Basel. Die Festivalbesucherinnen und -besucher machen es sich mit kühlen Drinks unter den Kastanienbäumen im Festivalzentrum beim Stadtkino Basel gemütlich. Brundert richtet ihr Fotolabor ebenfalls spontan unter einem Kastanienbaum ein. Das ursprünglich vorgesehene Kursfoyer war kurzfristig durch einen anderen Event belegt worden. Muss ein Film in den Entwicklungstank, ist eine Kurzvisite in der Dunkelkammer aber unumgänglich.

«Caffenol» als Alternativ-Filmentwickler
Improvisation scheint ohnehin ein Lebensmotto der Berliner Super-8-Künstlerin zu sein. Vor rund drei Jahren suchte sie nach Alternativen für die herkömmliche Film-Entwicklung. «Ich hatte es statt, immer mit so viel giftiger Chemie zu arbeiten», erzählt Brundert, die alle ihre Filme von Hand im eigenen Labor entwickelt. Im Internet stiess sie auf den sogenannten «Caffenol», der aus Kaffee, Waschsoda und Vitamin C besteht. Während die Kaffeesäure das Silber im Film angreift, wirkt das Waschsoda als Beschleuniger auf den chemischen Prozess ein und das Vitamin C sorgt für einen klaren Filmträger. «Es gibt viele Fotografen, die Filme mit Kaffee entwickeln. Da dachte ich, das muss auch bei Super 8 funktionieren», erklärt Brundert. Den «Caffenol» bezeichnet Brundert als ihre Lieblingsrezeptur: «Der bringt immer gute Resultate und ist einfach anzurühren.»

In den folgenden Jahren erweitert Brundert dieses Bioentwicklungsverfahren laufend durch neue Rezepturen und experimentiert mit Blumen und Kräutern, mit diversen Teesorten und sogar mit Whisky. Überhaupt möglich machen dies natürliche Phenole, die in fast allen Pflanzen vorhanden seien. «Das sind die guten, kleinen Schwestern des bösen chemischen Hydrochinons.» Als Universalingredienz ist Hydrochinon in praktisch allen handelsüblichen Schwarzweiss-Filmentwicklern zu finden. Auch für die Schwarzweiss-Fotografie arbeitet Brundet heute nur noch mit «Caffenol». Für die Filmfixierung benutzt sie jedoch einen handelsüblichen Filmfixierer. Insbesondre bei Umkehrentwicklungen sei es so gut wie unmöglich, ganz auf Chemie zu verzichten, da man bei diesem aufwändigen Prozess ein Bleichbad benötige, das fast nicht ohne Chemie anzusetzen sei (z.B. Wasserstoffperoxid und Essigsäure).


Global super 8 Day 2015
Nach dem Entwicklungsprozess: Alle bestaunen den entwickelten Film.


Alchemistisches Hexengefühl
Ihr Wissen gibt Dagie Brundert laufend im Rahmen von Filmentwicklungs-Workshops weiter. Der zweitägige Workshop stiess auch in Basel auf grosses Interesse. Die Warteliste für jene, die sich keinen Platz mehr ergattern konnten war entsprechend lang. Experimentieren ist auch in Basel angesagt: Am zweiten Kurstag dürfen alle sechs Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihren Film in einer Suppe nach Wahl entwickeln. Eine Teilnehmerin bringt eine Flasche selbstgepressten Randensaft (Rote Bete) mit. Brundert ist begeistert: «Toll, bin gespannt wie das wird.» Bei Orangensaft hat sie ebenfalls ein gutes Gefühl: «Riecht schön.» Ein weiterer Teilnehmer hat sich für Tomatensaft entschieden, was Brundet «sehr mutig» findet. Das Limonadengetränk «Chinotto» als Filmentwickler kommentiert Brundert mit: «Frag mich in 15 Minuten.»

Für jedes Rezept errechnet Brundert, wie viel an Waschsoda und Vitamin C beizufügen sind. Dabei stützt sie sich auf Erfahrungen aus der eigenen Arbeit ab, die sie als alchemistisches Hexengefühl bezeichnet. Als technische Richtwerte geht sie von einer Entwicklungstemperatur von rund 30 Grad Celsius und einer Entwicklungszeit von 15 Minuten aus. In den meisten Fällen sind die Beigaben von Waschsoda und Vitamin C nicht gross anzupassen (Rezepte siehe unten). Obschon die Berliner Künstlerin schon über 500 Super-8-Filme selber entwickelte, sei es noch immer ein aufregender Moment, wenn sie nach dem Prozess den Entwicklungstank zu ersten Mal öffne. Auch in Basel versetzt dieser Moment Brundert immer wieder in Begeisterung: «Die Kontraste sind vorhanden, die Tomate hat gewirkt!»

Am Ende des Tages ist Dagie Brundert vom Ergebnis des Workshops begeistert: «Wir haben heute sechs Filme in verschiedenen Suppen entwickelt. Alle wurden toll». Zwei Filme weisen einen nicht ein so starken Kontrast auf: Jener der im Orangensaft und in «Chinotto» entwickelt wurde. Beim Orangensaft hätte es mehr Waschsoda gebracht, so Brunderts Vermutung. Beim «Chinotto» wirkte sich der hohe Zuckergehalt im Getränk wohl als Entwicklungshemmer aus: «Da hätte es etwas Kaffee als Beihilfe gebraucht.» Brundert alchemistisches Hexengefühl ist um tolle Erfahrungen reicher geworden.

Weitere Infos siehe auch: yumyumsoups.wordpress.com

Die Rezepturen

Kakao, Kaffe
500 ml Wasser (Rhein), 30 g Soda, 10 g Vitamin C, 20 g Kakaopulver (das hatte Zuckeranteil und 39% Kakao), 10 g Kaffee. 21°, 13 min.

Kakao, Kaffe, Absinth
dasselbe wie oben, noch ein Schuss Absinth rein. 27°, 8 min.

Rote Bete
250 ml Rote-Bete-Saft (selbst gepresst), 250 ml Wasser, 10 g Kaffee, 40 g Soda, 12 g Vitamin C. 28°, 13 min.

Tomatensaft
500 ml Bio-Tomatensaft, 40 g Soda, 12 g Vitamin C. 32°, 12 min.

Orangensaft
400 ml frischgepresster Orangensaft, 100 ml Wasser, 40 g Soda, 8 g Vitamin C. 28°, 15 min.

Chinotto
500 ml Chinotto, 40 g Soda, 10 g Vitamin C. 33°, 12 min.


In ihrem Element: Dagie Brundert mit dem Lomo-Entwicklungstank.



Roch schön: Frisch gepresster Orangensaft als Filmentwickler.