![]() |
![]() |
![]() |
5.10.2010 Filmen aus der Finsternis Wir wagen ein unglaubliches Experiment: Eine Super-8-Kamera wird zur Lochkamera umfunktioniert. Doch kann man damit wirklich brauchbare Filme drehen? Ein Erfahrungsbericht. Von Beatrice Jäggi Alles begann an einem sonnigen Frühlingsnachmittag im Jahre 1995. Ein Sonntag, an dem die Welt mit sich in Frieden schien. Die Filmkamera lag bereit. Doch was noch filmen, das nicht schon längst gefilmt wurde in irgendeiner Form. Die Lochkamera war auch da aber was fotografieren, das nicht schon längst festgehalten ist? Solche Nachmittage können ganz schön langweilig sein. Am Abend die zündende Idee: wie würde eine Super-8-Film aussehen, der mit der Lochkamera-Technik aufgenommen wurde? Vielleicht ergibt sich das Neue aus dieser aussergewöhnlichen Kombination. Diese Idee gefiel mir von Anfang an. Zwei gegensätzliche Techniken zusammenbringen Das Experiment konnte ich an jenem Abend nicht mehr testen. Es war nicht mehr genug Licht vorhanden. Wie sich bald zeigt, sind Aufnahmen mit einer S8-Lochkamera nur bei intensivem Sonnenlicht möglich. Überhaupt ist es ein endloses Ausloten im Grenzbereich des Machbaren. Eigentlich widersprechen sich diese beiden Aufnahmetechniken grundlegend. Film ist bewegtes Bild. Die einzelnen Aufnahen werden nur sehr kurz belichtet. Rattert der Film mit 18 Bilder pro Sekunde durch die Kamera ergibt sich eine Belichtungszeit von einer vierzigstel Sekunde, bei 24 Bilder sogar einer sechzigstel Sekunde. Aufnahmen mit der Lochkamera entstehen meist in Langzeitbelichtung von mehreren Sekunden, manchmal sogar Minuten. Durch das kleine Loch fällt ja nur ein sehr feiner Lichtstahl auf den lichtempfindlichen Film. Was mich interessierte war die Frage, an welchem Punkt sich die beiden gegensätzlichen Techniken in der Mitte treffen und zu einen brauchbaren Bild führen. Als Kamera für das Experiment verwende ich eine Beaulieu 5008 S. Diese Kamera erfüllt dazu zwei sehr wichtige Voraussetzungen: einerseits lässt sich das Objektiv einfach und schnell über den Schraubverschluss entfernen. Zweitens läuft die Kamera auch mit 8 Bilder pro Sekunde, was immerhin die Belichtungszeit von einer zwanzigstel Sekunde hergibt. Ein weiterer Vorzug dieser Kamera liegt darin, dass diese Kamera über einen sogenannten Schwingspiegel verfügt, der anwechselnd das Bild auf den Film oder in den Sucher wirft. Bei der Lochkamera werden Schärfe und Helligkeit des Bildes vom Durchmesser des Lochs bestimmt und vom Anstand zwischen der Lochscheibe und dem Film (Brennweite). Je kleiner das Loch, desto schärfer wird das Bild, das gleichzeitig aber an Helligkeit verliert. Die Kamera kann sich frei bewegen Um auf der 4 mal 6 mm grossen Cadrage des Super-8-Films überhaupt noch ein erkenntliches Bild zu bekommten, muss das Loch sehr klein sein. Für die ersten Aufnahmen verwendete ich ein Loch mit einem Durchmesser von 0,2 mm. Der Film war ein Trix-X mit 200 ASA. Das Resultat zeigt eigenartig schummrige Bilder: Ein Haus, der Garten, kleine Margeriten in der Wiese, ein glitzernder See im Sonnenlicht. Faszinierend an der Sache ist: Ohne Objektiv braucht man sich um die Schärfeeinstellung nicht mehr zu kümmern. So ist es möglich, sich in einer einzigen Kameraeinstellung frei zwischen einer Totalen und einer Macro-Aufnahme zu bewegen, wobei in Letzterer ein besonderer Reiz liegt. Etwas später erfolgen die ersten Farbaufnahmen. Der heute nicht mehr gebräuchliche VNF (125 ASA um eine Blende auf 250 ASA gepusht) lieferte erstaunlich gute Bilder. Mit der 0,2-mm-Lochscheibe ergab sich eine ganz vernünftige Belichtung. Die Aufnahmen durch ein 0,1-mm-Loch sind von der Schärfe wesentlich besser, verlieren dafür massiv an Lichtstärke. Der Unterschied macht satte vier Blenden aus. Dennoch sind viele der Aufnahmen für die Installation «I’m a bee» mit dem 0,1-mm-Loch entstanden. Kontrast, Helligkeit und Farbsättigung der Bilder mussten später am Videoschnittplatz korrigiert werden. Mit der passenden Klangkulisse ist so ein sehr stimmungsvoller rund fünfminütiger Filmloop mit Grossaufnahmen von Blüten entstanden.
Wie im finsteren Keller filmen Die Finsternis ist eine der Hauptherausforderungen beim Filmen. Schaut man durch den Sucher, ist im ersten Moment ausser Schwarz nicht viel zu sehen. Hat sich das Auge nach einigen Sekunden an die Dunkelheit angepasst, sind ganz schummrig die Konturen der hellen Objekte zu erkennen. Das ist etwa so, wie wenn man sich im Stockdunkeln an etwas herantastet. Was dann genau auf den Film gebannt wurde sieht man erst, wenn die Röllchen aus dem Labor zurück sind. Und wie eignen sich die Vision-Farbnegativfilme von Kodak für die Obscure-Super8-Technik? Testaufnahmen sind mit dem Vision 2/200 ASA (um eine Blende auf 400 ASA gepusht) und mit dem Vision 2 500 ASA entstanden. Beide Testfilme wurden durch das 0,1-mm-Loch belichtet und später auf Super-8-Farbpositiv umkopiert. Die Bilder mit dem Vision 200 sind recht grobkörnig, haben aber durchaus ihren Reiz. Toll schauen die Resultate des Vision 500 aus: Farben und Helligkeit stimmen erstaunlich gut, sodass nur minimale Videokorrekturen nötig sind. 15 Jahre nach den ersten Testaufnahmen rattern hier die ersten wirklich annehmbaren S8-Lochkamera-Aufnahmen durch den Projektor. Der Vision 500 ASA ist wie geschaffen für dieses unglaubliche filmische Experiment!
|
![]() |
![]() ![]() ![]() ![]() ![]() Filmstills aus der Video-Installation «I'm a bee». ![]() ![]() Die zur Lochkamera umfunktionierte Beaulieu 5008S. |